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Le Style Frank

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Ein bisschen dauert es schon, bevor man die spröde Kunst von Jean-Michel Frank auch nur halbwegs begreifen kann. Man stelle sich aber vor, wie es gewesen sein muss, als seine rüden Gestaltungsvorschläge in die prachtvollen Villen der 20er und 30er Jahre einzogen – und es waren nicht wenige Adressen, die der geniale Franzose damals ausgestattet hat. Unter anderem wurde er von den Rockefellers, Elsa Schiaparelli und der Publizistin Nancy Cunard engagiert. 

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Und wer das Experiment wagte, der nahm auch gleich einen kostspieligen Kahlschlag seiner Räumlichkeiten in Kauf. Frank propagierte eine klösterliche Leere. Er ließ Zwischenwände, Einbauten, Fußböden, Vertäfelungen und jede Art von Stuckverzierungen aus dem Objekt entfernen. Manchmal auch mit dem Effekt, dass ganze Kabelstränge aus der Wand kippten. Waren die Altlasten entfernt, hüllte er den Raum in ein gekalktes Weiß – nur spärlich dekoriert mit seinen Möbeln. Selbst das Aufhängen von Bildern wurde bei ihm regelmäßig untersagt. 

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Doch je radikaler seine Designs ausfielen, desto mehr waren die französischen Salons an seiner Person interessiert. Dabei hatte er nichts gelernt. In die Aufgabe eines Innenarchitekten war er praktisch hineingerutscht, nachdem er Wohnungen für Freunde ausgestattet hatte, die er noch vom Gymnasium kannte. Viele Künstler waren dabei, später auch Politiker und Industrielle. So formte sich innerhalb kürzester Zeit sein Ruf als kompromisslos avantgardistischer Designer. In den 20er Jahren, Jean-Michel war kaum 30 Jahre alt, galt er als die Zentralfigur von Tout-Paris

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In den Besitz eines echten Frank zu kommen, blieb freilich einer Minderheit vorbehalten.  Angeblich beschwerte sich die Hautevolee sogar, dass sie ein kleines Vermögen hinblättern müsse, nur um auf kargen Stühlchen Platz nehmen zu dürfen. 1930 hatte Jean-Michel das Angebot erhalten, in der Firma von Adolphe Chanaux als Geschäftspartner und künstlerischer Leiter einzusteigen. Dies schuf die Möglichkeit, seine Möbel auch in Serie zu produzieren.

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Chanaux, der gelernter Kunsttischler war, kümmerte sich in der Manufaktur vorrangig um Fragen der Herstellung. Frank sah seine Aufgaben im Entwurf, aber auch in der Auswahl der Materialien. Unbekümmert griff er in Töpfe, die wahlweise gewöhnlich oder sagenhaft teuer waren. Für einige Polstermöbel verwendete er Textilien, die ursprünglich zur Herstellung von Staubtüchern dienten. Dann wieder operierte er mit Taftseide, Pergament oder Häuten von Fisch. Vor allem jedoch lieferte er naturbelassene Zutaten in einer noch nie gesehenen Direktheit.

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Wohlgemerkt: geschaffen wurden diese Möbel zu einer Zeit, in der selbst Amerika unter der Ornamentik des Art Déco verschwand. Frank und Chanaux, deren Respekt füreinander sich immer mehr zu einer Freundschaft vertiefte, lieferten ihre Preziosen trotzdem in alle Welt. Zu ihren Kunden gehörte der Vicomte de Noailles. Oder der Bankier Arthur Spitzer. Hin und wieder half natürlich auch, das Jean-Michel selbst aus einer angesehenen Bankiersfamilie stammte.

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Aber die Familie war nicht nur Ehre, sie war auch Last — und wie man schon bald erkennen sollte, eine viel zu hohe Last. Seine beiden Brüder, älter und kräftiger als er, fielen innerhalb weniger Tage während des 1. Weltkriegs. Sein Vater brachte sich daraufhin um. Seine Mutter landete in der Anstalt. Jean-Michel blieb mit dem Gefühl zurück, nutzlos weiterleben zu müssen. Freunde meinten später, dass die Leere in seinen Designs auch Ausdruck seines Inneren war. 

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Hinzu kam, dass der umjubelte Kreative unter seiner Herkunft als Jude litt. Es gab sehr enge Verbindungen zum Frankfurter Zweig der Familie, in der auch Anne Frank aufwuchs. Im April 1940, nur vier Wochen vor der Invasion deutscher Truppen, floh Jean-Michel aus Paris. Er sah sich doppelten Gefahren ausgesetzt, weil er nicht nur jüdisch, sondern auch homosexuell war. Aber die Trennung fiel schwer. Nicht zuletzt, weil er in Adolphe Chanaux seinen wohlvertrauten Kreativpartner verlor. Zugleich musste die Werkstatt mit 50 Mitarbeitern geschlossen werden.

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Freunde und Bewunderer sorgten dafür, dass Jean-Michel Frank in Argentinien sofort neue, überaus lukrative Engagements erhielt. Zu seinen Anhängern zählte auch Andrée Putman, die seiner Kunst in den 80er Jahren zu einem weltweiten Revival verhalf. 1978 gründete sie das Unternehmen »Ecart International«, dessen zentrales Thema die Re-Edition epochaler Designs aus den 20er/30er Jahren war. Entwürfe von Eileen Gray gehörten dazu. Ebenso wie Leuchten von Mariano Fortuny. Und dann eben auch 25 Objekte aus dem Nachlass von Adolphe Chanaux und Jean-Michel Frank — viel davon Meilensteine des Designs, aber trotzdem fast vergessen. 

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So kam es, dass ›Le Style Frank‹ einmal mehr um die Welt rauschen sollte. Bis heute gilt die asketische Eleganz, die der ketterauchende Franzose über Tische, Stühle, Hocker, Schränke, Polstermöbel und ganze Architekturprojekte zog, vielen großen Designern als Inspirationsquelle. Sein Club Sessel (gleich oben im Bild) wurde oft kopiert, wenn natürlich auch nie erreicht. 

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Denn so eckig, wie das Werk von J. M. Frank auch meistens war: es blieb funkensprühend, variabel, nicht selten integral. Schon früh holte er befreundete Künstler mit ins Boot, die in seinem Auftrag tätig wurden. Allein Alberto Giacometti entwarf für ihn gut 70 verschiedene Objekte, darunter Vasen aus Gips, Tischlampen aus Gips und Papier sowie Stühle aus Eisen. Frank selbst wurde mit den Jahren immer bunter. Für Schiaparelli kreierte er einen Salon mit orange gepolstertem Sofa. Direkt daneben allerdings: pechschwarze Vorhänge aus Gummi. 

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Jean-Michel verließ Buenos Aires, gleich nachdem er einen Auftrag für den Großgrundbesitzer Jorge Born abgeschlossen hatte. Er reiste nach New York und stürzte sich nur wenig später aus dem Fenster seines Appartements in Manhattan. Das war am 8. März 1941, Jean-Michel Frank war 46 Jahre alt. In Frankreich erfuhr man von seinem Tod erst Jahre danach, nämlich gegen Ende des Krieges. Derweil hatte ihn die New York Times längst in einem ausführlichen Nachruf als Begründer der ›luxe pauvre gewürdigt. Er gilt als der einflussreichste Designer seiner Zeit. 

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