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NEUN FRAGEN AN:
CLAUDIO LUTI

ZEHN JAHRE LANG WAREN DIE ENTWÜRFE VON
ETTORE SOTTSASS IN DER SCHUBLADE VERSCHWUNDEN, JETZT
HAT KARTELL SIE ERSTMALS AUFGELEGT.

INTO INTERIORS SPRICHT MIT CLAUDIO LUTI,
DEM VORSITZENDEN VON KARTELL.

into interiors interview 13 April 2016 11

Als Ettore Sottsass, der Begründer von ›Memphis‹, im Jahr 2004
gefragt wurde, ob er nicht eine Kollektion für Kartell entwerfen mag,
sagte er sofort zu. Das war erstaunlich, weil der 87-jährige Top-Star 
zu diesem Zeitpunkt fas schon mit dem Kapitel ›Design‹ abgeschlossen
hatte. Ende der 80er Jahren kehrte Sottsass mehr und mehr zu seinen
Wurzeln, der Architektur, zurück. Er baute Flughäfen, Golfplätze und
Villen – unter anderem in China, Singapur, Russland und den USA.

„Ich arbeite mit Zeichen.” Ettore Sottsass

Claudio Luti erzählt, wie die Zusammenarbeit sich gestaltet hat und
warum die Produktion so oft verschoben werden musste. Sottsass
entwarf mehrere Stücke für Kartell, drei davon sind jetzt in der ›Tribute
to Memphis‹ Serie erhältlich. Hier gibt es außerdem auch Möbel, deren
Stoffe auf Original-Entwürfen von Memphis-Mitgliedern basieren. 

Signore Luti, wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Ettore Sottsass?

Es gab anfangs keine konkreten Projekte. Unsere Treffen waren eher leger. Aber mit jedem Meeting wurde es für Ettore interessanter, zum Industriedesign zurückzukehren. Ich glaube, es hat ihn einfach an die Anfänge und seine Zeit bei Olivetti erinnert. Er diskutierte gern mit mir über Techniken, die wir für Plastik entwickelt hatten. Im Jahr 2001 war es uns gelungen, mit Bubble Club von Philippe Stark erstmals ein ›Industrie-Sofa‹ herzustellen. Kunststoff statt Handwerk. Solche Dinge gefielen ihm eben.

Was hat die Herstellung der Sottsass-Objekte damals verhindert?

Ettore brachte mir 10 oder 12 perfekte Entwürfe ‒ aber die Technik war einfach noch nicht so weit. Also beschloss ich, dass wir warten müssen. Qualität entscheidet.

Ihre Wartezeit betrug beinahe 10 Jahre. Eine lange Zeit?

Ja, eine sehr lange Zeit! 2007 starb Sottsass, und das brachte zunächst viele Gedanken zum Stillstand. Aber dann, letztes Jahr, gewann das Thema für mich an Aktualität. Memphis hat viel mit der Gegenwart zu tun, es lag in der Luft. Ich habe die Kollektion kürzlich in New York vorgestellt, ein Ereignis! Alle waren enthusiastisch. Ich glaube, Memphis war immer da, aber auch vergessen. Jetzt ist es wieder in den Köpfen.

Memphis gelang 1981 eine furiose Premiere – aber es wurde nie ein wirtschaftlicher Erfolg. Wie kann es jetzt einer werden?

Memphis war sehr teuer seinerzeit. Jedes Stück wurde von Hand gefertigt. Es waren kunstvolle Objekte, aber keine industriellen Produktionen. Die besondere Bedeutung von Memphis lag in seiner Philosophie; es war der Beginn des Design-Zeitalters. Nach dem Rationalismus brachte Memphis eine neue Freiheit! Aber wirtschaftlich war das nicht.

Jetzt gehen wir andere Wege, wir nutzen die Kartell-Strategie. Industrielle Produktion, industrielle Logistik, industrieller Vertrieb. Ich erinnere mich an ein letztes Gespräch mit Ettore. Es gefiel ihm, die Dinge umzudrehen. Ein Neustart für die Formsprache von damals, nur konterkariert. Memphis ohne Handarbeit – industriell gefertigt.

Sottsass selbst empfand den Memphis-Look als sehr anstrengend.

Natürlich, schon die Farben sind herausfordernd. Sehr markant! Ettore hat einmal gesagt, zu viel davon wäre wie täglich Kuchen essen. Man muss diese Gegenstände deshalb mischen, mit anderen Stilen und Materialien kombinieren. Würde Ettore jetzt zur Tür hereinkommen und die gesamte Kollektion erleben, er wäre begeistert. Sehr sogar. Spannend ist einfach, dass wir die revolutionären Designs von damals mit den Mitteln von heute produzieren. Memphis war ja auch gegen die industrielle Fertigung gerichtet.

Sie haben beinah zu dieser Zeit auch Ihr Unternehmen aufgebaut. 

Richtig. 1988 habe ich Kartell von meinem Schwiegervater übernommen. Es war eine bewegte Zeit in der Geschichte des italienischen Möbeldesigns. In den 60er und 70er Jahren herrschte Rationalismus und Modernismus. Aber in den 80er Jahre wurde das Gegenteil propagiert, nun waren strenge Formen und eine industrielle Produktion nicht mehr sehr beliebt. Es war eine aufgewühlte, auch verwirrende Phase. Ich legte mit Kartell also in den Tagen los, in denen die industrielle Fertigung in Ungnade fiel. Aber ich war überzeugt – die Zukunft ist industriell! Wir müssen weiter machen. Gleichzeitig müssen wir die Qualität anheben. Wir brauchen eine werthaltige Industrieproduktion, die eine manuelle Fertigung ersetzen kann. Das war das Geheimnis – nicht nur von Kartell. In dieser Strategie lag die Zukunft der gesamten Möbelindustrie von Italien. 

Claudio Luti


„WER ÜBER DIE PRODUKTE
ENTSCHEIDET, DER ENTSCHEIDET AUCH
ÜBER DAS UNTERNEHMEN.“


Konnte Sottsass seine Objekte von Kartell jemals in die Hand nehmen?

Nein, die ersten Prototypen wurden 2015 gebaut. Davor gab es nichts, ich hatte das Projekt aus Qualitätsgründen gestoppt. Es verschwand in der Schublade, und dann vergisst man das auch. Sie müssen verstehen, dass jeden Tag neue Projekte über meinen Tisch laufen. Woche für Woche spreche ich mit Designern, es gibt Hunderte von Ideen. Manche Jobs werden gestartet, andere wieder gestoppt. Und Ettore war niemand, der Ungeduld gezeigt hätte. Er war nicht fordernd. Gute Designer sind niemals fordernd.

Eine ganze Reihe von Designern sind für Kartell schon seit Jahrzehnten tätig. Wie schaffen Sie das?

Kartell bietet die Möglichkeit, Geld zu verdienen und die Chance, sichtbar zu werden. Überall auf der Welt besitzen wir eigene Läden, und das sind eine Menge Schaufenster. Vor allem aber verfügen wir über die finanziellen Ressourcen, um auch ambitionierte Projekte anzugehen. Nur wenige Unternehmen können das. Nicht nur, weil es riskant ist, es verlangt auch Energie von allen Beteiligten. Designer mögen das. Sie wissen, dass die Anforderungen bei Kartell ausgesprochen hoch sind. Aber das gefällt ihnen. Ich habe ein festes Team von Designern, mit denen ich regelmäßig zusammen arbeite. Quasi Tag für Tag. Manchmal teste ich neue Kreative – um zu sehen, ob sie ins Team passen.

Herr Luti, sie sind Visionär, Stratege, Impresario und Manager. Ist es ein Glück, dass Sie nicht auch noch Designer sind?

Ich habe in jungen Jahren Wirtschaft studiert. Direkt nach dem Militärdienst und der Universität wurde ich Steuerberater – was ganz und gar nicht kreativ war. Zero! Meinen Einstieg ins Geschäftsleben, sie werden das eventuell wissen, schaffte ich gemeinsam mit Gianni Versace. Von Null auf Hundert bauten wir ein Imperium auf, und ich hielt 30% der Anteile an dieser Firma. Aber ich hatte bei Versace nichts mit den Produkten zu tun, ich entwickelte die Strategien, aber in die Produkte war ich nicht involviert.

Das wollte ich ändern, als ich das Kapitel ›Kartell‹ aufschlug. Ich hatte begriffen – wer über die Produkte entscheidet, der entscheidet auch über das Unternehmen. Deshalb war ich entschlossen, die Entwicklung von Produkten selbst in die Hand zu nehmen. Aber ich hatte nie Ambitionen, auf die andere Seite des Schreibtisches zu wechseln. Mein Freund Vico Magistretti, der leider verstorben ist, hatte mir beigebracht: Gutes Design besteht aus zwei Komponenten. Einem starken Unternehmen. Und einem starken Kreativen.

FÜR DIESES INTERVIEW — DANKE, CLAUDIO LUTI!
FANTASTIC PLASTIC.

Das Interview wurde durch Federico Luti begleitet, der das
Gespräch durch viele Fakten und ein perfektes Englisch bereichert hat. 


›Kartell goes Sottsass‹ ist Kollektion des Jahres. (Wallpaper)

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„ICH ARBEITE JEDEN TAG MIT DEN
DESIGNERN. UND ICH GLAUBE NICHT, DASS SEHR
VIELE VORSITZENDE DAS TUN.“

Claudio Luti